Blockaden der Stimme

Am Anfang meiner Seminartätigkeit zum Thema „Stimme“ stellte ich mir die Frage, welche Ursachen wohl dafür verantwortlich sein könnten, dass unsere Stimme nicht immer so funktioniert, wie wir das gerne hätten. Ich war auf der Suche nach einem verständlichen, einfachen und zugleich umfassenden Ursachen-Wirkungs-System. Für mich und natürlich für meine Seminarteilnehmer, die sich bisher zur Stimme nur dann Gedanken gemacht hatten, wenn sie mal nicht da war. Das Ergebnis meiner Suche werde ich Ihnen in den folgenden Artikeln vorstellen. Ich möchte Ihnen damit die Möglichkeit geben, selbst auf die Suche nach der Ursache Ihrer persönlichen Stimm-Blockade gehen zu können. Sozusagen ein „Blockaden-Navi“, das Ihnen den Verlauf Ihrer stimmlichen Fahrt-Route sichtbar macht. Allerdings ohne Ton und „Ausweich-Routen“, das heißt physiologische Blockaden, die dem Bereich Logopädie zu zuschreiben wären.

Eine, zumindest für mich, logische Abfolge ergab sich aus der Überlegung, was alles passiert, bis wir ein Wort aussprechen. Oder um beim Navi-Vergleich zu bleiben: welche Abläufe müssen reibungslos funktionieren, damit ich mein Ziel gut erreiche. Welcher Autofahrer kennt nicht das Geräusch in der Kupplung, wenn man den falschen Gang erwischt? Auch eine Blockade in der Stimme kann ähnliche Geräusche erzeugen. Aber von Anfang an:

Jeder Weg, ob mit Stimme oder Auto, sollte im optimalen Fall mit dem „Warum“ beginnen. Ja,  auch beim Autofahren kann es ab und zu hilfreich sein, schon vor dem Einsteigen zu wissen, warum man von A nach B fahren möchte. Zum Thema Stimme kann ich nur an den grandiosen Motivationssatz erinnern: „Erst denken, dann reden!“

In diesem Sinne starten wir unsere „Fahrt“ vom ersten Gedanken zum gesprochenen Wort:

 

(1)    Priming (= vorbereiten / Grundlage oder Grundhaltung):

Um dieses „Warum“ besser definieren zu können, wurde von mir der Begriff „Priming“ eingeführt. Für mein Verständnis beschreibt er genau das, was passiert, wenn wir in unserem Gehirn die Absicht fassen, ein Wort sprechen zu wollen. Wir schaffen eine Grundlage, nehmen eine gewisse Grundhaltung ein. Eine Grundlage dafür, uns durch Laute = Sprache unserer Umwelt mitteilen zu wollen. Welche Absicht genau dahinter steckt, ist je nach Situation mal mehr und mal weniger bewusst. Vielleicht wollen wir einer Idee zustimmen, widersprechen oder ganz einfach auch was sagen. An Gründen, den Mund aufzumachen, mangelt es in unserer Gesellschaft ja zum Glück nicht. Schwieriger wird´s dann schon, wenn wir den Mund halten sollen, nicht wahr?

 

Was könnten nun die Auswirkungen einer Priming-Blockade für die Stimme sein? Ein falsches Priming hat weniger Auswirkungen auf die Stimme an sich als mehr auf den Sinn des Gesagten. Ähnlich verhält es sich mit den „emotionalen Blockaden“, die noch folgen. Wenn ich meine Absicht nicht klar und eindeutig gefasst habe, kann sich das in unzusammenhängenden, wirren, zu langen und schwer nachvollziehbaren Sätzen bemerkbar machen. Vielleicht ist Ihnen das bereits bei spontanen Reden oder schlecht vorbereiteten Präsentationen aufgefallen? Wie heißt es danach oft so schön vom Publikum „An dieser Stelle hab ich leider total den Faden verloren“ oder „Oh, da hab ich gerade an meinen Hamster gedacht!“

Nachdem wir aber die klare Absicht gefasst haben, uns aus gutem Grund mitteilen zu wollen, passiert alles weitere rasend schnell. So als ob wir jetzt auf die Autobahn abbiegen und Vollgas geben. Also in Deutschland. Nicht in Österreich. Wir brauchen nicht mal einen Bruchteil einer Sekunde und schon ist das erste Wort gesagt. Im besten Fall gut überlegt und mit einem entsprechenden Sinn dahinter. Und auch wenn nicht: wir geben weiter Gas. Während beim Gas geben im Auto die Drosselklappe geöffnet wird und mehr Kraftstoff-Luft-Gemisch in den Motor gelangt, müssen wir nur eines tun, damit die Wörter unseren Mund verlassen: atmen.

 

(2)    Die Atmung:

Als wichtigster Atemmuskel fungiert dabei das Zwerchfell. Eine kuppelförmige Muskel-Sehnen-Platte, die Brust-und Bauchhöhle voneinander trennt. An dieser Stelle werde ich mich auf den Atemvorgang an sich beschränken. Wer Näheres zur richtigen Atemtechnik wissen möchte, findet dazu mehr Infos in meinem Artikel „Die richtige Atmung zum Erfolg“. Zum Vorgang an sich: Durch die Kontraktion des Zwerchfells und die Ausdehnung des Brustkorbs entsteht ein Unterdruck, durch den Luft in die Lunge gezogen wird (= Einatmung). Während diesem Vorgang weiten sich Bauch, Brustkorb und Lunge (= Vollatmung) aus, die Muskulatur zur Luftregulierung wird aktiviert und das Zwerchfell flacht, durch die Kontraktion, nach unten ab. Um auszuatmen entspannt sich die Atemmuskulatur = Zwerchfell wieder, die Lunge zieht sich zusammen und die Luft strömt durch den so entstandenen Überdruck durch die Atemwege hinaus. Die Ausatmung kann, durch den aktiven Einsatz der Atemmuskulatur, auch bewusst reguliert werden. In diesem Fall spricht man von der sogenannten „Stütze“, die beim richtigen Sprechen, Singen und der erfolgreichen Ausübung eines Blasinstruments auf keinen Fall fehlen darf.

Die möglichen Stimm-Blockaden, die durch eine falsche Atmung verursacht werden können, sind vielfältig: Kurzatmigkeit beim Sprechen und damit verbundene Unverständlichkeit, gepresste Stimme durch falschen „Lufteinsatz“, Unruhe und Nervosität in der Stimme, zu leise Stimme, gebrochene Stimme, Kloß im Hals und und und. Kurz gesagt: die Atmung ist die Wurzel (fast) allen Sprech-Übels.

Um unseren Weg weiter fortsetzen zu können, gehen wir davon aus, dass die Atmung richtig funktioniert. Damit ein Ton entsteht, werden ja bei der Ausatmung die Stimmbänder in Schwingung versetzt. Damit wären wir auch schon bei der nächsten Blockade, die uns am Ziel hindern könnte: die Stimmbildung. Dazu alles Nähere in Teil 2, der in Kürze erscheint. (c) Karin Neidhart